Als unser Klassenlehrer, Herr Tinnemeyer, uns fragte, ob wir im Sommer wieder ein Auslandspraktikum antreten wollen, war unser letztes in Dublin erst ein paar Wochen her. Doch ohne zu zögern sagten wir zu.
Unsere Schule arbeitete dieses Mal mit einer anderen Organisation zusammen, weswegen nun auch mehr Schüler gefördert wurden. Anders als meine Freunde, welche die Reise zwei Wochen vor Beginn der Sommerferien begannen, startete mein Abenteuer erst in den Sommerferien.
Schnell merkte ich wieder das Gefühl der Selbständigkeit als ich mit meinem Gepäck am Flughafen in Frankfurt stand. Doch zum Glück klappte alles reibungslos und ich saß voller Adrenalin im Flugzeug Richtung Turin. Alleine der Flug war unbeschreiblich: die Aussicht über die Alpen und die Seen war eine wunderschöne Erfahrung. Aber dies war kaum zu vergleichen mit dem italienischen Charme, der mich die nächsten Wochen umgeben sollte.
Meine Freunde empfingen mich vor unserem Hostel: Wir lebten in kleinen Appartements, voll ausgestattet mit Bad, Küche, Klimaanlage, Fernseher, Internet und sogar Balkon. Besser als jede Studentenwohnung! Der Kühlschrank kam natürlich ohne Ausstattung weshalb mein erster Trip zum Supermarkt ging. Der Vorteil war, dass meine Freunde sich schon auskannten und ich nur hinterher laufen musste. Hier erlebte ich auch meine ersten kulturelle Erfahrungen: der Supermarkt hatte eine riesige eigene Abteilung für Fisch und Fleisch, welches offen präsentiert wurde! Auch die unzähligen Sorten von Käse war überwältigend!
Was ich auf jeden Fall benötigte war Trinkwasser! Die Temperatur sollte in den Wochen nicht mehr unter 30 Grad sinken. Deswegen war meine erste Fahrt mit der Tram auch sehr schweißtreibend. Nicht wegen den Stress, denn wir bekamen alle von der Organisation eine Travel-Karte, mit welcher wir die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen konnten, sondern alleine von der Hitze und der fehlende Klimaanlage. Doch ich genoss auch die Fahrt, denn so bekam ich meinen ersten Eindruck von Italien. In nur knapp 40 Minuten waren wir direkt in der Innenstadt, wo sich nicht nur die Touristen sondern auch die Turiner ihre Zeit vertreiben.
Am ersten Tag war ich überwältig von den vielen neuen Eindrücken und fühlte ich etwas verloren, weil sich meine Freunde schon so gut auskannten. Ich hatte nicht nur Probleme die Italiener zu verstehen, sondern auch wenn meine Freunde mir Straßen und Plätze auf Italienisch nannten, wo wir uns treffen sollten.
Ins kalte Wasser wurde ich auch an meinen ersten Arbeitstag geworfen, als ich mich nun alleine auf den Weg zu meiner Praktikumsstelle machte. Es war aber viel einfacher als gedacht: Ich nahm die gleiche Tramlinie, welche wir auch sonst für jeden Weg nutzten, und musste nur einen kurzen Weg bis zum Ziel laufen.
Ich bin ehrlich, mein erster Eindruck von der Gegend meines Praktikumplatzes war alles andere als positiv: ich fühlte mich unsicher. Die Gegend war nicht sehr beliebt bei Touristen und wirkte etwas veraltet. Doch als ich vor meinem Ziel stand, war ich erstaunt: Mitten in den älteren Häusern war ein weißes, großes Gebäude mit einem geräumigen Innenhof. Es stellte sich heraus, dass es früher ein Friedhof war und nun von mehreren kulturellen Organisationen genutzt wird. Dies erklärte mir Adriano, mein Ansprechpartner beim Praktikum. Bei seiner Rundführung zeigte er mir das Gebäude aus dem Jahr 1777, welches durch seine alte Architektur, den Kronleuchtern, seinen eigenen Theatersaal sowie einladen Garten mit Pfirsich- und Zitronenbäumen einen besonderen Charme hatte.
Adriano arbeitet für das Festival delle Migrazioni, eine Organisation, welche kulturelle und musikalische Festivals in Turin organisiert. Der Sitz der Organisation ist bewusst gewählt worden, da das Viertel, welches ich zuvor bemängelt habe, dass interkulturelle Viertel von Turin ist. Hier leben die unterschiedlichsten Nationen neben einander. Viele sind Migranten. Eine Migrantin lernte ich im Zuge meines Praktikums kennen.
Im September findet ein neues Festival statt, mit dem Themenschwerpunkt Migration, Klimawandel sowie LGBTQ+. Meine Aufgabe war es, Artikel für die Social Media Kanäle der Organisation zu schreiben und deswegen lernte ich eine junge Frau kennen, die mir ihre Geschichte als Migrantin in Italien erzählte. Sie zeigte mir auch die Gegend rund um das Viertel und seine kleine Hot Spots, dass beste Eis in Turin (ihrer Meinung nach) und viele kleinere Restaurants, welche von ausländischen Familien betrieben wurden.
Ein Phänomen was ich auch während der Zeit in Turin sah, war das abends die Außenbereiche der Restaurants an den Straßen gefüllt waren mit älteren Männern und Frauen, aber auch junge Erwachsenen. Egal welcher Wochentag, die Italiener lieben es den Abend in Gemeinschaft ausklingen zu lassen. Übrigens fängt das Wochenende in Italien schon am Donnerstag an. Nicht, dass die meisten Menschen freitags und samstags nicht arbeiten, nein. Ihr Freitag ist der Donnerstag. Dies zeigte sich zum Beispiel an einem Abend als wir zu einem beliebten Studententreffpunkt am Po gingen. Viele junge Erwachsene saßen auf den Stühlen draußen vor den Lokalen und genießten die abkühlende Luft bei Sonnenuntergang.
Den besten Sonnenuntergang habe ich auf dem Berg Monte dei Cappuccini gesehen. Hier hatte man einen wunderschönen Ausblick über Turin in nächster Nähe. Wer einen etwas größeren Ausblick genießen will sollte die Kathedrale Superga besuchen. Dorthin kommt man mit einer Seilbahn, alleine dieser außergewöhnliche Weg ist es wert!
Neben den Wahrzeichen von Turin, den Turm Mole Antonelliana, besuchten wir weitere Sehenswürdigkeiten wie dem Piazza Castello, Palazzo Reale Di Torino, Piazza San Carlo oder dem Piazza Vittorio Veneto. Ein Tipp von mir ist das Lavazza Museum: Ich bin überhaupt kein Fan von Kaffee, aber das Museum zeigt nicht nur die Liebe der Italiener zum Kaffee, sondern auch die Kultur, die dahinter steckt und welche bis heute als Tradition besteht.
Trotz der vielen Sehenswürdigkeiten und anderen Touristenspots, kann ich jeden nur raten, einfach die Gassen in Turin lang zu laufen. Egal wohin der Weg geht, man entdeckt immer neue Seiten der Stadt, kleine Läden mit herzlichen Betreibern, preiswerte gute italienische Restaurants sowie das alltägliche Leben der echten Turiner, fern ab von dem Tourismus.
Auch wenn es zuvor oft ein paar Kommunikationsprobleme zwischen den Italienern und mir gab, sei es beim Praktikum oder in einem Restaurant, fühlte ich mich als Deutsche nie unerwünscht. Die meisten Italiener sprechen kaum Englisch, oder sind zu verunsichert. Trotzdem versuchen sie alles, damit die Barrieren der Verständigung überwinden werden: mit Gesten oder Mimik, oder mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen. Die Gastfreundschaft wird in Italien groß geschrieben. Sowieso scheuen die Italiener nicht vor Kontakt zurück. Ich habe selten so herzliche, offene und ehrliche Menschen getroffen, die das Herz auf der Zunge tragen.
Für mich waren diese Wochen ein Hauch von Dolce Vita. Das unbeschwerte Lebensgefühl, die Leichtigkeit des Sommers sowie die Mentalität der Italiener ist ansteckend! Es fühlte sich kaum wie ein Praktikum an, da jeder mich sofort mit offenen Armen empfang.
Persönlich lernte ich, dass auch wenn es sprachliche, vermeintliche Hindernisse gibt, es nicht von einer Auslandserfahrung abschrecken sollte. Die meisten Menschen, wie die Italiener, sind neugierig auf fremde Menschen.
Wir Europäer leben vom Kulturaustausch: ohne dies gäbe es keine Pizza und Pasta in Deutschland! Und in so einer Welt möchte doch wohl keiner leben.
Lara Bukelo AHR 13D