Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir mein Praktikum in Turin anders vorgestellt.
Mein Vater hat mir erzählt, dass der Autohersteller Fiat ursprünglich aus Turin kommt. Als ich also im Winter 2021 erfahren habe, dass es für mich im Sommer nach Italien geht, habe ich mir Meer, Palmen und eine Menge touristischer Attraktionen vorgestellt. Ich habe anfangs gar nicht realisiert, dass ich nicht in den Süden Italiens fliegen werde.
Als mir dann bewusst wurde, dass ich in Turin mein Praktikum absolvieren werde, ging meine Vorfreude ein Stück nach unten. Mein Meer wurde durch Industriegebiete ersetzt und meine touristischen Attraktionen durch ein Haufen Menschen, die alle Fiat fahren. Aber ich wurde überrascht.
Am 11. Juni 2022 fing mein Abenteuer an.
Die Situation mit den Flügen ist momentan eine Katastrophe. Zugegeben, es war nicht gerade leicht einen tollen Flug zu finden, der meine Freunde und mich sicher nach “Torino” bringt aber nach einer kurzen Suche haben wir einen Flug gefunden, der uns gegen 9 Uhr nach Torino bringen sollte. Ich bin also um 5 Uhr aufgestanden, um meinen Koffer fertig zu packen und habe dann meine Freunde abgeholt, um endlich von Amsterdam nach Torino abzustarten.
Gegen 11 Uhr sind wir bereits im Norden Italiens gelandet und haben uns auf den Weg zu unserem Apartment gemacht. Bis jetzt waren noch keine Fiats in Sicht.
Ich erinnere mich daran, dass ich auf ein riesiges Gebäude gezeigt habe, auf dem in gigantischen Großbuchstaben “Lavazza” stand. Keine 5 Minuten später stellte sich heraus, dass dieses Gebäude unsere Nebenwohnung ist und ich sie jetzt für 4 Wochen lang betrachten durfte. Als Kaffeeliebhaberin war mir das ganz recht. Ich konnte es kaum erwarten italienische Nudeln zu essen und mich 4 Wochen lang von Bruschetta und Ciabatta zu ernähren.
Jedoch ging meine Vorfreude schnell den Bach runter. Zugegeben, ich war übermüdet und mit der kompletten Situation überfordert. Zusammen mit meiner Freundin Henrike hatte ich von nun an meine eigene Wohnung. Ich würde die nächsten 5 Wochen hier verbringen und da meine Vorstellung von einer Industriestadt so langsam auch anfing sich aufzulösen, wusste ich nicht was mich erwartete.
Allein der Ausblick aus meinem Zimmer reichte aber schon, um mich zu beruhigen.
Unsere Wohnung lag genau neben einer Tram-Haltstelle. Die Tram Nummer 4 würde von nun an unser Go-To werden, um egal wohin zu gelangen.
Da wir so früh angekommen sind hatten wir keine Ahnung, was wir den Rest des Tages so tun sollten. Und obwohl uns die Stadt am Montag die Stadt gezeigt werden sollte, haben meine Freunde und ich beschlossen die Stadt zu erkunden.
Torino ist alles andere als eine Industriestadt. Das ganze Straßennetzwerk läuft auf den Piazza Castello hin. Von dort aus führt die Via Po zu einem der beiden Flüsse, welche durch Torino laufen; zum Po. Die ganze Straße entlang streckten sich Touristen Shops, nobel aussehende Eiscafés und Restaurants. Bog man rechts ab, kam man zur Via Roma, der Shoppingstraße Turins mit sämtlichen Luxus- und Modegeschäften.
Hätte mich die Stadt nicht so fasziniert, könnte ich mich nicht mehr an all das erinnern.
Vor Allem wenn es dunkel wurde fing die Stadt an in romantischen Lichtern aufzublühen.
Natürlich denkt man bei all diesen Schein und der Romantik, dass wir 6 Freunde uns hier keine italienischen Spezialitäten hätten leisten können. Aber hier kommt das wundervolle an Torino:
Torino ist keine Stadt, die vorgibt etwas zu sein. Es ist keine Stadt, die das widerspiegelt, was die Touristen sehen wollen. Ganz im Gegenteil; sie präsentiert das echte Leben. Mit jedem Laden, den man betritt, konnte man sicher sein, dass auch Einheimische hier essen würden. Man hat kein Essen gegessen, welches italienisch wirken sollte, weil Touris ja eh nicht wissen, wie es in Wirklichkeit schmecken sollte, Nein, ich bin teilweise in Geschäften essen gegangen bevor meine Arbeitskollegen mir gesagt haben, ich sollte unbedingt dieses eine Restaurant ausprobieren.
Meine Arbeitskollegen waren alle etwas älter als ich. Viele von ihnen waren Studierende die gutes Englisch sprechen konnten.
Ich muss zugeben, ich war zuerst sehr nervös in einem kleinen familiären Hotel zu arbeiten. Das “Tomato” war ein Ort zum Wohlfühlen.
Ich wartete vor der Tür bis Daniele, einer der Mitarbeiter, der uns Schüler an die Arbeitsplätze vermittelte, mich meinem Chef vorstellen sollte. Es war ein hektischer Dienstagmorgen. Mein Chef, Tomasso, hatte gerade einen große Urlaubsgruppe mit Frühstück verpflegt. Davide stellte mich vor, ich schüttelte Tomasso’s Hand und im nächsten Moment wurde ich schon gefragt, ob ich Kaffee mag, denn “das wäre die Art und Weise sich hier kennen zu lernen” - beim Kaffee trinken.
Ich habe selten einen so charmanten und offenen Mann wie Tomasse getroffen, der mich bei meinen Aufgaben unterstützt hat, sich die Zeit genommen hat mir alles in Ruhe zu erklären und mich selbstständig hat arbeiten lassen.
Die ersten paar Tage wurde ich vom ganzen Team angelernt, was das Rumführen von Gästen angeht oder die Arbeit mit dem Computer-Programm. Benji, der erfahrenste Mitarbeiter, hat mir gezeigt, wie ich italienischen Kaffee in einer Siebträgermaschine mache und hat sogar angeboten mir zu zeigen, wie ich kleine Figuren aus Milch auf den Kaffee zaubere.
Nach ein paar Tagen habe ich gelernt, welche Aufgaben wann zu erledigen sind und Tomato hat sich deutlich über meine Selbständigkeit und Hilfe gefreut.
In der zweiten Woche durfte ich die neue Website vom Tomato Hotel auf Deutsch übersetzen. Dies war eine meiner liebsten Aufgaben. In der Schule mache ich einen Fremdsprachenlerngang und Übersetzung ist eins der Fächer, welches ich für mein Fremdsprachenkorrespondent habe.
Am liebsten habe ich allerdings die internationalen Kunden in unser System eingeloggt und ihnen ihre Zimmer zugewiesen. Ich war stolz auf mich, dass ich, als erste Praktikantin, die das Tomato je hatte, schon so viel Verantwortung tragen durfte und für die Unterbringung der Gäste zu sorgen.
Dazu muss man sagen, dass Torino eine unfassbare internationale Stadt ist.
Das Tomato lag im Barviertel der Stadt, San Salvario, von der die Innenstadt und der Bahnhof Puorta Nuova in 10 Minuten zu erreichen war. Ich habe in meinen 4 Wochen Arbeit so viele Menschen von verschieden Kontinenten und Kulturen getroffen, wie selten noch nie.
Mein Team selbst ist allerdings auch schon durch die halbe Welt gereist. Tomasso hat beispielsweise in Deutschland studiert und Benji war schon in Ländern auf der ganzen Welt.
Benji hat fast 10 Jahre bei Tomato gearbeitet und war ein guter Freund von Tomasso. In meiner dritten Arbeitswoche war sein letzter Arbeitstag im Tomato, weil er seinen Job gewechselt hat. Er kam danach zwar noch ein Paar mal wieder und kurz vor meiner Abfahrt hat er mir auch noch einige Orte in Torino gezeigt, die man gesehen haben muss, aber für ihn war es einfach an der Zeit etwas Neues zu machen.
Und genau das finde ich so bewundernswert an Italien. Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen hier alle so offen und froh sind, dass es egal ist, was man studiert und wo man arbeitet – es ist nie zu spät für einen Neuanfang. Tomasse beispielsweise hat nicht Hotelmanagement studiert und hat es trotzdem geschafft, erfolgreich ein Hotel und kleine Tochterfirmen aufzubauen. Und vor allem meine jungen Kolleginnen arbeiten jetzt im Hotel, aber wissen, dass sie morgen etwas anderes machen wollen. Und für Tomasso ist das vollkommen in Ordnung. Meiner Meinung nach ist es dort drüben nicht so Fromm und Druckvoll wie hier in Deutschland.
Aber natürlich war die Arbeit nicht das Einzige, was meinen Italienaufenthalt so interessant und vermissenswert gestaltet hat.
In unserer Freizeit haben wir 6 so viele Erinnerungen geschaffen, die mich geprägt haben.
Durch unsere zusammenverbrachte Zeit habe ich das Gefühl, dass ich mutiger und selbstsicherer geworden bin.
Die Tochter vom Chef meiner Mutter hat ein Semester lang in Torino studiert und mir eine Liste zukommen lassen von Dingen, die ich gesehen und gegessen haben muss.
Ich glaube, das Erste, was meine Freunde und ich gemacht haben, war Giandujaeis zu probieren. Gianduja ist eine Schokolade die traditionell aus Torino kommt. Es war köstlich. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich wäre nur einmal da gewesen.
Ein weiteres Erlebnis, an das ich mich gerne erinnere, ist unser Ausflug zu Superga. Das Superga ist eine alte Kirche auf der südlichen Seite Turins, die auf einem hohen Berg liegt. Meine Freunde und ich sind mit einer kleinen, süßen Gondel den Berg hochgefahren und bis zur Kirche über einen betonierten Weg gelaufen. Die Kirche und ihr Dom waren wunderschön, aber noch schöner war der Weg den Berg hinunter. Annalile, Henrike und ich hatten beschlossen nicht den betonierten Weg zu nehmen, sondern den 25 Minuten andauernden Waldweg zu nutzen. Wir sind insgesamt eine Stunde über irgendwelche Wege gewandert, die mit Sicherheit keine Wege sein sollten, bis wir sicher, und knapp vor der letzten Abfahrt der Gondel, wieder an der Gondelstation waren. Es war so witzig, dass wir die Geschichte immer noch gerne erzählen.
Am ersten Wochenende in Torino haben wir den Zug genommen und sind 40 Minuten entfernt zum nächsten Strand gefahren. Und auch wenn das Meer nicht an Turin grenzt, ist es im Mittelmeer doch immer schön.
Nach meinen 4-stündigen Arbeitsschichten habe ich mich meist mit Henrike und Annalile mit einem Bubbletea an einen Tisch eines Restaurants gesetzt, welches geschlossen hatte, bis wir mit dem Lachen nicht mehr aufhören konnten und uns den nächsten schattigen Platz gesucht haben.
Ich glaube, in unserer zweiten Woche hatten Julia M. und ich beschlossen zu einer Bar von meiner Liste vorzugehen. Die Bar hieß” Le Panche” und ob man es mir glauben möchte oder nicht, aber ich werde nie wieder Aperol bestellen, der mehr als 2,50€ kostet. Die nächsten 2 Wochen haben wir fast nur noch dort Aperol getrunken.
Eine Sache, die mir in den 4 Wochen, in denen man immer aufeinander hockt, immer gut getan hat, waren die selbstzubereiteten Abendessen mit meiner Zimmerkameradin Henrike. Wir wurden kreativ, was unser Essen anging, und haben bis um 5 Uhr morgens auf unserem Balkon gegessen und uns einfach nur unterhalten, bis wir uns irgendwann mit Taschenlampen in unsere Betten gelegt haben, als der Stromausfall im Apartment zu gruselig, aber dennoch witzig wurde.
An Henrike’s letztem Tag haben wir uns den Sonnenuntergang mit Blick auf die Berge auf dem Monte die Cappuccini angeguckt und haben danach köstliche Pasta und Bruschetta gegessen. Es war einer der schönsten Abende.
Eines Abends haben wir Karaoke gesungen und direkt neben einem Fluss gepicknickt.
Als ich das erste Mal auf dem riesigen Wochenmarkt in Torino war, Porta Palazzo, konnte ich mir das Grinsen nach unserem Besuch gar nicht mehr aus dem Gesicht streichen.
Ich könnte noch Tausende andere Erinnerungen nennen, die dieses Praktikum so wertvoll und bedeutend machen, aber irgendwann muss auch ich mit dem Schreiben aufhören.
Mein 4 wöchiges Praktikum war mit Sicht auf meine Arbeit, als auch auf meine Freizeit unfassbar bedeutend für mich und ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, diese Erfahrungen mit meinen Freunden zu erleben.
Eigentlich wollte ich in der 5. Woche ein wenig Urlaub machen, stattdessen habe ich mein Praktikum für dieses Tage verlängert.
Torino hat mich mit seinen Ecken und Kanten dazu gebracht, jede einzelne Sekunde zu genießen und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich würde es nicht noch einmal tun.
Vielen Dank für diese wahnsinnige Möglichkeit und arrivederci Torino!